Berlin bedeutet Leben, Berlin bedeutet Möglichkeiten. Viele. Auch die, ein Glanz zu werden und seine Träume von der großen Freiheit realisieren zu können. Doris, die Protagonistin des Romans „Das kunstseidene Mädchen“ (1932) von Irmgard Keun, geht nach Berlin und lebt auf größerem Fuße, als sie es sich leisten kann. In eine Welt voller Verführungen und Männerbekanntschaften, aber auch in eine Welt voller Angst und Zerrissenheit wird der 12. Jahrgang im Schauspielhaus Hannover mitgenommen.
In Berlin sucht Doris ihr Glück und jagt – mit fragwürdigem Erfolg und diskutablem Emanzipationsverständnis – diesem „Glanz“ hinterher. Die moderne Interpretation, in der gleich vier Schauspielerinnen die Hauptfigur darstellen, überzeugt: Die bruchstückhaften Gedankengänge und die innere Getriebenheit von Doris werden für das Publikum erfahrbar, die Atmosphäre dieser Zeit voller Umbrüche, gesellschaftlicher Verunsicherungen und auch dunkler Vorahnungen wird spürbar. Es scheint, als spiele Doris mit den Männern, als könne sie alles erreichen – aber auch ihre innere Wut reicht nicht, aus dem halbseidenen Leben entfliehen zu können. Der Abend beeindruckte (fast) alle von uns – nicht zuletzt auch, weil das hellerleuchtete Foyer des Schauspielhauses sowie der bis auf den letzten Platz belegte Saal eine ganz und gar glanzvolle Atmosphäre erzeugten!
Quelle:https://staatstheater-hannover.de/de_DE/programm-schauspiel/das-kunstseidene-maedchen.1360072
Gut zwei Wochen später ging es dann tatsächlich nach Berlin, in das politische - und glanzvolle (?) - Zentrum Deutschlands. Im Vorfeld versprach der geplante Besuch des Bundestags eine besondere Spannung, da nur drei Tage zuvor die aktuelle Regierungskoalition ein (wenig glanzvolles!) Ende fand. Ob wir im Bundestag wohl spannende und hitzige Live-Debatten verfolgen können?
Am Abend vorher wurde die Tagesordnung des Bundestags kurzfristig geändert und das Sitzungsende auf den Mittag vorverlegt – was für eine Enttäuschung! Trotzdem durften wir den Plenarsaal und die Kuppel besuchen und unser Einlader, der Bundestagsabgeordnete Johannes Schraps, stellte sich unseren Fragen zum Ende der Regierungskoalition, zu der Situation seiner Partei im Wahlkampf, zu verschiedenen politischen Themen und auch dazu, wie es sich anfühlt, seine erste Rede im Bundestag zu halten. Auch beim anschließenden gemeinsamen Kuppelbesuch war er offen für unsere Fragen – danke! Zum Abschluss unseres Besuches stand ein gemeinsames Essen im beeindruckenden Paul-Löbe-Haus auf dem Programm. Dass kurz vorher noch Philipp Amthor und Karl Lauterbach gesichtet wurden und letzterer auch zu einem Selfie bereit war, entschädigte etwas für die verpasste Debatte und ließ uns etwas von dem Glanz des politischen Berlins spüren. Nach der kurzen Freizeit, in der am Brandenburger Tor auch die stimmungsvolle Inszenierung zum 35-jährigen Jubiläum des Mauerfalls – und somit ein Mahnmal für Demokratie in einer Zeit erneuter gesellschaftlicher Verunsicherung – bestaunt werden konnten, konnte uns auch das ungeplant lange Warten in der Kälte die gute Laune nicht nehmen. Endlich im Bus wurde sich schnell wieder warm gesungen!
Am Ende bleiben zwei eindrucksvolle Exkursionen, die uns zeigen: Nicht alles ist so glanzvoll, wie es scheint – und das, was wirklich glänzt, ist manchmal nicht sichtbar, sondern erst dann fühlbar, wenn es fehlt.